Energie, Exergie und Anergie
Jedes physikalische System enthält Energie. Sie liegt in seinen Teilchen sowie deren Bewegung und Lage im Raum begründet und verleiht ihm die Fähigkeit, mit seiner Umgebung in Wechselwirkung zu treten. Wann immer ein physikalisches System auf seine Umgebung einwirkt, wendet es dafür einen Teil seiner Energie auf. Die Energie, die bei einem solchen Prozess eine Arbeit verrichtet, bezeichnen Physiker als Exergie. Energie, die keine Arbeit verrichtet, wird hingegen Anergie genannt.
Eine Unterteilung in Exergie und Anergie findet nicht bei allen Energieformen statt, sondern nur bei Wärmeenergie und innerer Energie. Denn während ein System z. B. seine Bewegungsenergie vollständig an seine Umgebung abgeben kann (mit dem Endzustand, dass das System stillsteht und sich nicht mehr bewegt), kann Wärmeenergie immer nur so lange abgegeben werden, bis das System und seine Umgebung die gleiche Temperatur aufweisen. Mit der dann noch übrigen Wärmeenergie lässt sich keine Arbeit mehr verrichten: Sie ist also Anergie. Wie groß der Anteil der Anergie an der Gesamtenergiemenge eines Systems ist, hängt daher stets auch von den äußeren Umständen ab.
Praxisbeispiel: Anergie in einem Heizungssystem
Ein praktisches Beispiel für die Bedeutung der Anergie ist das Heizen. Stellen Sie sich vor, es ist Winter und Sie wollen die Temperatur in einem Zimmer bei konstant 20° C halten. Aufgrund der niedrigen Außentemperaturen geht ständig etwas Wärme über Fenster und Außenwände verloren, weshalb eine Fußbodenheizung immerzu neue Wärme nachliefert, um den Wärmeverlust auszugleichen. Träger der benötigten Wärme ist das Heizungswasser, welches mit einer Temperatur von 30° C in den Raum hineinfließt und dort so lange Wärmeenergie abgibt, bis es die gleiche Temperatur wie die Raumluft angenommen hat. Die Energiemenge, die dabei vom Heizungswasser abgegeben wird, ist die Exergie. Die Wärmeenergie, die im Heizungswasser verbleibt, ist Anergie: Sie kann nicht mehr zur Verrichtung der Arbeit „das Zimmer auf 20 °C beheizen“ verwendet werden.
Dass das Verhältnis von Anergie und Exergie von den Umständen abhängt, wird ersichtlich, wenn Sie sich vorstellen, dass dasselbe Zimmer nach dem Lüften nur noch eine Temperatur von 15° C hat. Wird nun die Fußbodenheizung eingeschaltet, dann ist die anfängliche Temperaturdifferenz zwischen Raumluft und Heizungswasser größer als zuvor. Um das Zimmer jetzt auf 20 °C zu beheizen, muss das Heizungswasser also mehr Wärmeenergie abgeben und behält entsprechend weniger zurück: der Anteil der Anergie ist geringer als im ersten Beispiel.
Anergienetze: Die effizienteren Wärmenetze
Anergie kann ihrer Definition gemäß nicht genutzt werden, um damit Arbeit zu verrichten. Dennoch lassen sich bestimmte Prozesse effizienter gestalten, indem der Anteil der Anergie an der eingesetzten Energie vergrößert wird. Das gilt insbesondere für Wärmenetze, welche zentral erzeugte Wärme an eine größere Zahl von Abnehmern in der Umgebung verteilen.
Jedes Wärmenetz greift auf eine bestimmte Wärmequelle zu, zum Beispiel ein Heizkraftwerk, das neben Strom auch Wärme produziert. Die freigesetzte Wärmeenergie wird ins Wärmenetz eingespeist und darüber an die angeschlossenen Abnehmer verteilt, denen es wiederum als Wärmequellen für den Betrieb von Wärmepumpen dient, die die benötigte Heizwärme liefern.
Moderne Wärmepumpen benötigen jedoch keine Wärmequelle mit hoher Temperatur. Ein kaltes Wärmenetz, das nur wenig wärmer als die Umgebung ist, genügt. Dieses wird auch als „Anergienetz“ bezeichnet, weil durch die geringe Temperaturdifferenz zwischen übertragener Wärme und Umgebungswärme die transportierte Wärmeenergie fast vollständig aus Anergie besteht.
Daraus ergibt sich auch der große Vorteil der Anergienetze: Wärmeverluste auf dem Transportweg sind praktisch vernachlässigbar gering. Die eingespeiste Wärme können Verbraucher besonders effizient nutzen. Stammt diese Wärme zudem aus einer erneuerbaren Energiequelle und wird zum Beispiel aus dem Abwassernetz bezogen, ist sie noch nachhaltiger. Werden die angeschlossenen Wärmepumpen außerdem mit Ökostrom betrieben, ist eine vollständig klimaneutrale Wärmeversorgung möglich.
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